The German Opinion


Reviews for German edition of Offside: Soccer and American Exceptionalism

Die großen Dreieinhalb - und kein Fußball
Eine sozialwissenschaftliche Studie klärt den sportlichen Ausnahmefall USA
Von Roman Horak

Wenngleich selten nachzulesen, ist er doch eine Binsenweisheit unter jenen, die sich gesellschaftswissenschaftlich mit Phänomenen des modernen Sports auseinander setzen: der Umstand, dass die interessantesten Publikationen zum Themenfeld nicht aus dem Mainstream der sportwissenschaftlichen Forschung stammen, sondern von disziplinären "Außenseitern" vorgelegt werden. Das vor kurzem bei der Princeton University Press erschienene Buch' Offside. Soccer and American Exceptionalism, verfasst vom Politikwissenschafter Andrei S. Markovits von der University of Michigan unter Mithilfe des Journalisten Steven L. Hellerman, bietet einen weiteren Beweis für meine Behauptung - und es liefert zugleich eine Begründung dafür, warum dies so ist. Während nämlich besagter Mainstream sich immer noch - zumal im deutschsprachigen Raum - auf Analysen sportlicher Aktivitäten im engeren Sinne (seien es nun solche des Spitzen- oder des Breitensports) beschränkt, stellen die Autoren schon im einleitenden Kapitel klar, dass ihr Interesse ein anderes und weiteres ist. Selten ist eindringlicher und zugleich überzeugender die Notwendigkeit eines Fokussierens auf die Konsumtion von Sport argumentiert worden, wobei der Begriff "Konsumtion" im Sinne der neueren Cultural-Studies-Forschung durchaus nicht als bloß passives Rezipieren verstanden werden darf. Ausgangsfrage des Buches ist demgemäß jene nach den Effektivitäten vom Sport herkommender und vermittelter Narrative, Leidenschaften und Bindungen, wie sie sich an den Schnittstellen von Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur lebensweltlich formieren.

Die affektiven Investitionen der (meist männlichen) Träger werden dabei nicht außer Acht gelassen, sondern, im Rückgriff auf den späten Raymond Williams, innerhalb einer bestimmten hegemonialen Sportkultur verortet: Während in Europa und Südamerika (in jüngerer Zeit auch in Afrika und Teilen Asiens) Fußball zum dominanten Moment der Sportkultur wurde, sie also hegemonial bestimmte, ist jene der Vereinigten Staaten historisch durch die großen Drei (Baseball, Football, Basketball; Eishockey gilt neben den Big Three bloß als One Half) gekennzeichnet. Andrei Markovits ist der Frage, die sich hier aufwirft, nämlich "Why Is There No Soccer in the United States?" bereits in einem Aufsatz in den Achtzigerjahren erstmals nachgegangen. Inspiriert von Werner Sombarts 1906 angestellten Reflexionen darüber, warum es denn keinen Sozialismus in den USA gebe, hat sich Markovits auf die Suche nach jenem "anderen Exzeptionalismus" gemacht und schließlich die analytische Kategorie des "Sportraums" entwickelt, die im vorliegenden Buch materialreich entfaltet wird.

Die Formierung dieser Sporträume hat sich länderspezifisch unterschiedlich in der Periode zwischen 1870 und 1930 vollzogen, und zwar im Rahmen hochkomplexer Interaktionen politischer, sozialer und kultureller Kräfte, die von Markovits und Hellerman detailreich nachgezeichnet werden. Sie auch nur ansatzweise wiedergeben zu wollen, würde den Rahmen dieser Rezension sprengen. Festgehalten werden sollen allerdings zwei Momente, die, mit jenen Prozessen ursächlich verbunden, ihre Wirkungsweise jeweils kontextuell illustrieren - und dadurch das Buch so spannend machen. Da ist einmal die Frage der sporträumlichen US-amerikanischen Sonderentwicklung, die von den Autoren nicht simpel als Verlängerung der politischen diskutiert, sondern in ihrer Wechselwirkung verstanden wird. Bestimmte Ursachen (Bürgerlichkeit, die sich nicht von einer Aristokratie abzuheben hatte; Multiethnizität; weiter und verfügbarer geographischer Raum; der Mythos des sich und die Welt schaffenden Individuums - um nur einige zu nennen) schaffen in unterschiedlichen Terrains differente, aber eben einander vermittelte Resultate.

Und da ist zum anderen die Verortung der Debatte um den Sportraum im Rahmen der frühen Formierung popularer Kultur. Spätestens seit den Zwanzigerjahren wurde - mit Verweis auf Kino, Radio und Grammophon - von besorgten europäischen Denkern das Heraufkommen von Massenkultur als "Amerikanisierung" gedeutet. Ein genauerer Blick auf die Bedeutung, die das Spektakel Fußball in jenen Jahren in Europa erlangte, hätte da manches Vorurteil revidieren helfen können. Auch davon ist in Offside die Rede. Das Buch, dem eine baldige Übertragung ins Deutsche zu wünschen ist, sei all jenen ans Herz gelegt, die Momente und Struktur der Alltagskultur der Vereinigen Staaten genauer verstehen und - so nebenbei - Essenzielles (das garantiert die leidenschaftliche Expertise von A. Markovits) über den Wiener Fußball erfahren wollen. Manchen könnte es bei der Lektüre wie dem Rezensenten ergehen, der beim Lesen öfters sagte "Da geht's ja gar nicht um Sport!", um nach einer kurzen Denkpause zum Schluss zu kommen: doch, aber eben nicht nur - eben auf eine ganz andere Weise. [] Andrei S. Markovits, Steven L. Hellerman, Offside. Soccer and American Exceptionalism, Princeton University Press, Princeton und Oxford 2001. Der Rezensent ist Dozent am Institut für Kunst- und Kulturwissenschaft, Kunstpädagogik an der Wiener Universität für angewandte Kunst.

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